Bandscheibenchirurgie an der Lendenwirbelsäule: Mythos und Realität
Bei der hohen Zahl an Bandscheibentherapien, Operationen, Techniken und Versprechen ist es kaum möglich, den Überblick zu behalten: Ärzte und Patienten verstricken sich zwischen Mythos und gesichertem Wissen. Die Klinik für Neurochirurgie im Klinikum Landshut hat sich unter der Leitung von Prof. Dr. Dieter Woischneck als Ansprechpartner etabliert und erleichtert den Patienten durch offene Informationen die Entscheidungsfindung.
Es wird zuviel operiert
Nach dem zweiten Weltkrieg boomte die Bandscheibenchirurgie so stark, dass in Deutschland der Neurochirurg Prof. Hans Kulendahl bereits Anfang der 1960er Jahre warnte: "Es wird zuviel operiert!". Mit Einführung der Computertomografie, vor allem aber der Kernspintomografie (MRT), stieg die Zahl der Patienten an, bei denen ein Bandscheibenvorfall nachgewiesen werden konnte. In den 1950er Jahren ist die knöcherne Enge des Wirbelkanals (Spinalstenose) als weitere häufige Diagnose hinzugekommen, deren Therapie aus der Bandscheibenbehandlung abgeleitet wurde.
Wird operiert, so hat sich das Prinzip des Eingriffs seit 1930 nicht verändert: Über einen Schnitt zwischen den Halbbögen zweier angrenzender Wirbel wird der Bandscheibenvorfall entfernt und der eingeklemmte Nerv entlastet. Teile des gelockerten Bandscheibenkerns können zusätzlich entfernt werden, um die Wahrscheinlichkeit erneuter Vorfälle (Rezidive) zu vermindern.
Während der Eingriff damals noch mit dem bloßen Auge erfolgte (Makrochirurgie), wird seit Anfang der 1980er Jahre zunehmend das Operationsmikroskop eingesetzt.
Operationsmikroskop führt zu schnellerer Erholung
Zahlreiche Studien belegen, dass durch das Mikroskop die Hautschnitte kleiner werden, weniger Muskelgewebe verletzt wird und sich der Patient schneller erholt. Es ist nachgewiesen, dass die Mikrochirurgie durch darin geübte Chirurgen viele Vorteile für den Patienten hat. Die Neurochirurgen im Klinikum Landshut arbeiten mit dem Operationsmikroskop nicht nur am Gehirn oder an den Nerven, sondern auch an der Bandscheibe. Das bedeutet aber nicht, dass eine Operation ohne Mikroskop, wie sie vielerorts durchgeführt wird, falsch ist.
In den vergangenen Jahren ist die Endoskopie der Bandscheiben stark beworben worden. Mit einem Endoskop kann sich der Operateur in einem Hohlraum bewegen und dort Eingriffe vornehmen, z.B. in der Harnblase oder im Bauchraum. Der Wirbelkanal ist aber kein "leerer Raum", so Prof. Dr. Dieter Woischneck. Es ist nur durch ständiges Röntgen möglich, das Endoskop richtig zu platzieren und zu bewegen. Bislang ist wissenschaftlich nicht bewiesen, dass die Endoskopie an der Wirbelsäule Sinn macht. Einzelne Experten sind der Meinung, dass es funktioniert. Von den Krankenkassen wird sie als "experimentelle Methode" bezeichnet. Selbst wenn die hohe Strahlenbelastung durch das permanente Röntgen außen vor gelassen wird, sind potenzielle Vor- und Nachteile unter den Fachleuten umstritten.
Neben vermeintlichen Innovationen, versuchen Ärzte auch mit dem Begriff der "minimal-invasiven Wirbelsäulenchirurgie" Patienten zu gewinnen, den sich viele Wirbelsäulenzentren aufs Türschild schreiben. Dieser Begriff hat aber keine wissenschaftliche Aussagekraft. Makrochirurgische oder mikrochirurgische Eingriffe, selbst die Endoskopie oder eine Vermischung aller Techniken können sich hinter dem Begriff verstecken.
Muss überhaupt operiert werden?
Viel wichtiger als die Frage der Technik ist aber, ob überhaupt operiert werden muss und wenn ja, wann.
Die Ergebnisse der Bandscheibenchirurgie sind heute im statistischen Mittel nur unwesentlich besser als 1941: 85% der Patienten sind sehr zufrieden, 10 % zufrieden und 5% unzufrieden. Der wichtigste Unterschied zu 1941 ist, dass der Betroffene wesentlich schneller wieder mobil ist und die Risiken bei der Operation deutlich geringer sind als damals.
Wo sich eine Operation bewährt hat, ist der Bandscheibenvorfall, dessen Schmerzen in das Bein hinunterlaufen. Bei lokalen Rückenschmerzen hingegen ist der langfristige Erfolg einer OP deutlich geringer. Patienten mit Bandscheibenproblemen brauchen deshalb eine offene und ehrliche Aufklärung. Eine Operation kann nicht immer zu Beschwerdefreiheit führen. Oft kann bereits eine Physiotherapie mit gezieltem Muskelaufbau helfen. Oft verschwindet der Teil der Bandscheibe, der an den Nervenstrang drückt, von selbst. Abgeklemmt wird er nicht mehr ausreichend mit Flüssigkeit versorgt, vertrocknet mit der Zeit, bildet sich zurück und drückt nicht mehr auf die Nerven. Der Patient ist dann wieder beschwerdefrei. Ist der Schmerz hingegen über Wochen oder gar Monate chronisch geworden und hat sich in das Schmerzgedächtnis des Betroffenen gebrannt, dann kann der multimodale Ansatz der Tagesklinik für Schmerztherapie helfen.
Das Team der Neurochirurgie um Prof. Dr. Dieter Woischneck berät ergebnisoffen. Die Operation sollte immer das letzte Mittel der Wahl bleiben.